Wussten Sie, dass…

sich die Landschaftsmalerei zunächst gegen die Vormachtstellung der Historienmalerei behaupten musste?

Peder Mørk Mønsted: Frühling am Bachlauf bei Saeby, 1900 Öl auf Leinwand, Sammlung Andreas Gerritzen, Foto Helge Mundt, Hamburg.

Das künstlerische Atelier verlassen und die Natur unter freiem Himmel studieren und malen? Das war Jahrhundertelang nicht selbstverständlich für Künstlerinnen und Künstler. Denn Natur und Landschaft wurden lange nicht als eigenständiges Motiv behandelt: Sie dienten als Symbole oder als würdiger Hintergrund, etwa in der Historienmalerei, deren Gemälde historisch bedeutende Szenen oder religiöse, mythische Geschehnisse darstellen. Die Ursprünge der Historienmalerei als eigenständige Gattung finden sich in der Renaissance. Zahlreiche politische und gesellschaftliche Ereignisse führen besonders im 18. und 19. Jahrhundert zu einer großen Beliebtheit der Gattung – wollten Kunstschaffende doch etwa in monumentalen Gemälden bedeutende Errungenschaften der Menschheit oder auch politisch aufgeladene Momente (wie die Ausrufung des Deutschen Kaiserreiches) einfangen. Die Historienmalerei ist geprägt von Patriotismus und der Glorifizierung von Personen.  

Die Vormachtstellung der Historienmalerei als „offizielle“ Malerei des 19. Jahrhunderts stellen die Landschaftsmaler der ersten Generation selbstbewusst in Frage. Ihnen geht es um die künstlerische Wiedergabe der den Menschen umgebenden – unberührten oder von ihm beeinflussten – Natur. Dafür verlassen sie ihre Atelierräume, um sich unmittelbar inspirieren zu lassen. Es entstehen reine Naturlandschaften, aber auch Motive, die Spuren menschlicher Zivilisation zeigen, wie Stadt- oder Industrielandschaften.

Frankreich und die Schule von Barbizon sind hier Vorreiter: Camille Corot und Charles-François Daubigny – zwei Protagonisten dieser Künstlervereinigung – sind in der Ausstellung „Vom Wesen der Natur“ vertreten, ebenso wie Max Liebermann, Carl Spitzweg oder Peter Burnitz, die den französischen Wegbereitern ihre Referenz erweisen. Zwischen den Bemühungen um eine wahrhaftige Schilderung der herben Moorlandschaft und einer allgemeingültigen Aussage über die charaktervolle Stimmung einer Landschaft, changieren auch die Werke Otto Modersohns, der als Begabtester der Künstlergruppe gilt. Zusammen mit weiteren Malerinnen und Malern der Künstlerkolonie Worpswede hält er stimmungsvoll seine Eindrücke der umgebenden Natur fest.

In unserer neuen Sonderausstellung „Vom Wesen der Natur“ können Sie dem nachspüren: Einen Eindruck der stimmungsvollen Landschaften, die nun entstehen, zeigen wir ab dem 28. Oktober mit einer repräsentativen Auswahl aus der Sammlung Andreas Gerritzen. Der Sammlungsschwerpunkt der Landschaftsmalerei wird ergänzt von plastischen Werken bedeutender Bildhauer des 20. Jahrhunderts und Einzelpositionen der Gegenwartskunst. Die Natur behauptet sich dabei als Gegenüber, deren komplexe Wesenheit jeder Künstler, jede Künstlerin auf je eigene Weise stets aufs Neue durchdringen, ergründen, deuten und veranschaulichen muss.

Quellen:

DuMont’s Bild-Lexikon der Kunst. Künstler – Stile – Techniken. Köln, 1976.

Leben mit Kunst. Die Sammlung Andreas Gerritzen. Frankfurt am Main, 2023.