Kunstwerk des Monats April

Annemarie Haage, Kauernde Antilope, 1964

Annemarie Haage, Kauernde Antilope, 1964, Bronze, 19,8 x 30 x 15 cm, Städtische Sammlungen Neu-Ulm

Eine Entdeckung: Die Neue in der Familie der Kleinskulpturen

Im Katalog eines Düsseldorfer Auktionshauses entdeckte Museumsleiterin Helga Gutbrod im Januar 2017 die qualitätvolle kleine Tierplastik „Kauernde Antilope“ von Annemarie Haage. Sie wollte mehr über die Künstlerin wissen und übergab mir die Recherche. Das Vorhaben kam aber sehr schnell an seine Grenzen. Über die Bildhauerin, die am 8. Dezember 1917 in Berlin geboren wurde, lässt sich wenig herausfinden. Porträts und Tierplastiken sind ihre bevorzugten Motive. Ein schmaler Ausstellungskatalog aus dem Jahr 1968 bietet einige wenige Informationen. Zusammen mit der Grafikerin Gertrude Sandmann (1893-1981) stellte sie im Haus am Kleistpark in Berlin aus. Es waren 28 Tierplastiken von ihr zu sehen. Man erfährt weiter, dass Annemarie Haage an den Hochschulen für Bildende Künste in Berlin und Frankfurt bei Toni Stadler, Otto Hitzberger und Fritz Diederich Bildhauerei studiert hat. Studienreisen führten sie nach Holland, Belgien, Italien, Ägypten und Ost-Afrika.

In ihrer Spezialisierung auf die Tierplastik befindet sich Haage in guter Gesellschaft: August Gaul (1869-1921), Philipp Harth (1885-1968), Ewald Mataré (1887-1965), Reneé Sintenis (1888-1965) und Emy Roeder (1890-1971) – allesamt Vorreiterinnen und Vorreiter der modernen Tierplastik – lebten in den ersten drei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts in Berlin. Der „Berliner Bär“ (1932) von Reneé Sintenis ist heute das Wahrzeichen der Stadt. In diese Generationenfolge fügt sich Annemarie Haage ein. 

Die Liste der 1968 ausgestellten Arbeiten liest sich wie die Beobachtungsliste einer Safari in den Weiten Afrikas: Antilope, Serval, Panther und Büffel. Wir wissen nicht, wann sie dorthin reiste, aber 1964 verarbeitete sie ihre Eindrücke in der Plastik „Kauernde Antilope“. Das Tier liegt auf dem Boden. Ein Jucken, ein Stechen, ein Zwicken an ihrem Rücken hat sie aufgeschreckt. Der Rumpf spannt sich, Hals und Kopf strecken sich nach hinten zur anvisierten Stelle im Fell. Um noch ein Stück näher zu kommen, hat sie das rechte Bein aufgestellt. Der breite Hinterleib und das angewinkelte, flach auf dem Boden liegende linke Vorderbein geben Stabilität. Sie berührt an nur wenigen Punkten den Boden, dazwischen spannen sich die Kraftlinien ihres Körpers.

Haage stilisiert die Form des liegenden Tieres. Musikalisch schwingende Linien erfassen den Körper von der Spitze der Hörner bis hin zum aufgestellten rechten Vorderlauf. Dazwischen winden sich die gelängten Formen von Hals und Leib. Die Künstlerin erfasst die wesentlichen Eigenschaften einer Antilope in einer prägnanten Formel: graziös schwingende Körperformen, gespannte Energie ihrer Sprunggewalt und das Wehrhafte der weit ausgreifenden Hörner. 

Die Qualität dieser Figur gab den Ausschlag: Das Edwin Scharff Museum gab ein Gebot zur Auktion ab und bekam den Zuschlag für die Kleinplastik. Nun hoffen wir, noch mehr über die Künstlerin Annemarie Haage und ihr Werk herauszufinden.

Dr. Larissa Ramscheid
Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Edwin Scharff Museums