Wussten Sie, dass…

es eine Spaziergangswissenschaft gibt?

Seit jeher beschäftigt sich der Künstler Olaf Wegewitz mit ökologischen Fragestellungen. Sein Interesse am Verhältnis zwischen Mensch und Natur zeigt sich nicht zuletzt auch in seinen Wanderungen. Foto: Olaf Wegewitz

Wann sind Sie zum letzten Mal spazieren gegangen? Und was haben Sie vielleicht dabei beobachtet, erlebt, entdeckt? Und wussten Sie, dass sich Forscher:innen mit diesen Fragen beschäftigen?

Anregungen zur Wahrnehmung und ästhetischen Aneignung des öffentlichen Raums – das erforscht die Spaziergangswissenschaft (auch Promenadologie oder englisch Strollology). Begründet wurde diese kulturwissenschaftliche und ästhetische Methode in den 1980er Jahren von Lucius Burckhardt zusammen mit seiner Frau Annemarie Burckhardt im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an der Gesamthochschule Kassel

Bereits 1976 unternahm der Soziologe Lucius Burckhardt mit Studierenden seinen „Urspaziergang“ im Schlosspark Riede im Landkreis Kassel. Die Spaziergangswissenschaft entwickelte er aus Methoden und Diskursen der Soziologie und der Urbanistik (ein interdisziplinäres Forschungsfeld zur Erforschung von Städten unter sozialen, geographischen, historischen, ökologischen, kulturellen und städtebaulichen Gesichtspunkten).

Sprach Burckhardt zunächst von Spaziergangswissenschaft, so bezeichnete er sie später auch als Promenadologie. Diese regt uns dazu an, über unser Verständnis von urbanem Raum und Landschaft nachzudenken, unsere Umwelt bewusst und konzentriert wahrzunehmen und dabei über das reine Sehen hinauszugehen. Auf welchem Platz fühle ich mich verloren? Welcher Ort stresst mich? Wo würde eine Bank, eine Hecke guttun? Mit Blick auf solche und andere gestalterische Methoden entwickelt sie Ansätze für die Architektur und Stadtplanung.

Lucius Burckhardt lehrte bis 1997 an der damaligen Universität-Gesamthochschule Kassel. In verschiedenen Seminaren der Architektur-, Stadt- und Landschaftsplanung wird und wurde die Spaziergangswissenschaft auch an anderen Hochschulen gelehrt, etwa an der Universität Leipzig durch Bertram Weisshaar, der mit seinem Buch „Einfach losgehen“ zum Wandern, Spazieren, Streunen und „Denkengehen“ einlädt, – oder an der Hochschule Bremen durch Klaus Schäfer. 2011 promovierte die Künstlerin und Landschaftstheoretikerin Hannah Stippl unter dem Titel „Nur wo der Mensch die Natur gestört hat, wird die Landschaft wirklich schön“ zu den landschaftstheoretischen Aquarellen von Lucius Burckhardt an der Universität für angewandte Kunst Wien.

Ausdruck findet die Promenadologie nicht nur in Spaziergängen, sondern auch in ästhetischen Interventionen, die in unsere Umgebung eingreifen.  Somit wird der Begriff bis heute auch von anderen aufgegriffen – sei es von Forscher:innen, in der Lehre oder von Künstler:innen. Er erfährt dabei eine Erweiterung und mit Blick auf unterschiedliche Ziele ebenso eine stete Entwicklung. Auch von der zeitgenössischen Kunst wurde die Promenadologie rezipiert und für Projekte adaptiert – ein Beispiel dafür sind die Künstlerischen Streifzüge durch Neu-Ulm.

Der nächste Streifzug findet am Donnerstag, den 24. August 2023 mit Olaf Wegewitz statt. Wir sind schon gespannt – die Biografie des nördlich vom Harz lebenden Künstlers ist ebenso abwechslungsreich wie sein künstlerisches Spektrum. Seit jeher beschäftigt sich Olaf Wegewitz zudem mit ökologischen Fragestellungen. In München und bei Gera realisierte er das Projekt „Respektiertes Areal“, welches sich mit der Grundüberlegung befasst, dass auch Pflanzen und Tiere ein Recht auf Selbstbestimmung haben. Sein Streifzug in Neu-Ulm wird sich mit der namensgebenden Ulme beschäftigen − eine Baumart, die nicht zuletzt durch den menschengemachten Klimawandel stark bedroht ist.

Wann: Donnerstag, 24. August, 18 Uhr
Treffpunkt: Innenhof des Edwin Scharff Museums
Teilnahme: kostenfrei


Quellen:

Lucius Burckhardt: Warum ist Landschaft schön? Die Spaziergangswissenschaft. Martin Schmitz Verlag, Berlin 2006.

Spaziergangswissenschaft.de: Bleibt man am gehen

Hannah Stippl, Nur wo der Mensch die Natur gestört hat, wird die Landschaft wirklich schön, 2011.

Deutsches Institut für Urbanistik

Projekte zur Spaziergangsforschung von Bertram Weisshaar.